Gedanken eines Mannes auf dem Jakobsweg, und ein Nachklang.

Männer machen sich auf den Weg, so genannt „gestandene“ Männer, die einen Teil ihrer Lebenswegstrecke zurückgelegt haben, Erfolg im Leben hatten und haben, und doch begonnen haben in diesem Abschnitt zu hinterfragen: Wer bin ich, wo komme ich her, wo will ich hin?
Männer, einander erst wildfremd, lassen sich darauf ein, gemeinsam zu gehen, immer wieder in Kreisen sich zu finden / einzubinden / einander anzuvertrauen, darin zu singen, zu sein, sich mitzuteilen, sich zu öffnen. Das „in die Tiefe gehen“: erst als Bild und dann als Empfindung auf dem Weg, die Topographie des Jakobsweges gibt reichlich Anlass dazu. Die Angst vor steilen, langen, beschwerlichen Aufstiegen – sie sich und den Mit-Männern einzugestehen, in der Abendrunde mitzuteilen, öffnet neue Türen bei Jedem, mal mehr, mal weniger, Türen zu sich selbst, zu den Empfindungen, tief ins innere Selbst – hin zu dem Weichen in uns, unter der allgemein geforderten harten Schale des Mann-Seins.

Die auf dem Wege umgebende, umhüllende, mal fordernde, mal schützende Natur lässt uns an verschiedene Grenzen gelangen, und diese auch immer wieder ins Wanken bringen, manches kann sich so neu ordnen in uns und unserer männlichen Wahrnehmung. Dank lebendiger, ernster, heiterer, mitfühlender, mitdenkender, mitgehender Männer habe ich erfahren, wie gut es sich anfühlt, dazu zu gehören, Glied einer Kette, eines Kreises zu sein. Jeder von uns ging und geht seinen Weg, und er tut es nicht allein, ich tue es nicht allein – wenn ich denn bereit bin, los- und weiter-zu-gehen, mich einbinden zu lassen in Momente des gemeinsamen Nachspürens, darin zu verweilen – und die nächsten Schritte zu tun!

Und es tut wohl, dem Mann zu folgen, der einiges voraus ist, stets bereit ist, Anteil zu nehmen und anregend zu hinterfragen, Dir, Klemens nämlich!: die Bewegung beim Pilgern überträgt sich unmittelbar -- Neues und oft so Altes tut sich auf -- ein strapaziöser Tagesabschnitt auf dem Jakobsweg ist so kraftspendend!

Ich gehe weiter.
Ernst-Berthold

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Hans Albert - schrieb am 18.8.2012

Es ist 4.oo Uhr morgens. Ich kann mal wieder nicht mehr schlafen. Dafür bin ich tagsüber sehr müde. Was soll das? Es ist twilight time, noch nicht ganz hell. Die ersten Vögel zwitschern.- Ich will es schon so lange, ich fange einfach an zu schreiben.

„Mein Tag“ auf dem Weg St. Jacques: Er beginnt am Tag vorher in einer kleinen Kirche. Wir sollen uns einen Platz suchen, an dem wir richtig sind. Ich stelle mich direkt in den einzigen Sonnenstrahl, der durch ein Kirchenfenster fällt. Kein Warum? Daraus formt sich im Laufe des Tages mein Satz:

Ich stelle mich in’s Licht und will mich nicht mehr verstecken und ich bin achtsam

(Anmerkung: auf dieser Pilgerreise war jeder der Männer eingeladen in den ersten Tagen einen Satz zu finden, der seine tiefste Sehnsucht ausdrückt. Und mit diesem Satz ist dann an einem bestimmten Tag jeder allein auf seinen "Walk" gegangen, ganz bewusst in den rituellen Raum des Bekenntnisses, ich bin dieser Mann, der... )

Mit diesem Satz bin ich also auf meinen „Walk“ gegangen. Mit großem Ernst bin ich durch das selbstgelegte Tor gegangen in den heiligen Raum, in dem ich heute meinem Satz folgen sollte. Es war ein großer Schritt auf der gepflasterten Straße und auch ein großer Schritt in meinem gefühlten Leben. Zunächst geschah nichts, oder? Eine etwas gebeugte alte Dame kam mir entgegen. Auf mein Bon Jour, Madame antwortete sie sehr ernst und mit einem besonderen Lächeln: Bon chemin, Monsieur. Das hat mich ganz gefangen. So hat das noch keiner zu mir gesagt. Ich bedankte mich mit einer Verbeugung und ging fröhlich weiter. Sollte ich heute überhaupt mit Menschen reden? Oder doch mehr für mich selbst achtgeben und allein bleiben? Ich wußte es nicht.

Ich traf am Wegesrand meine ständigen Begleiter: Orchideen, (ich bin Florist) doch diesmal waren es drei weiße Blütenstände. Ich kniete nieder, um sie ganz genau anzusehen. Die einzelnen Blütchen erschienen mir wie weiß gewandete Engelchen. Was war das nun wieder? Und etwas abseits stand noch eine vierte, kleinere Pflanze. Hat das eine Bedeutung? Ich ging weiter, der Weg war mir leicht und der Rucksack nicht zu spüren. Ich war schnell auf dem Weg, der sich unter meinen Füßen ebnete. Ich war noch nie so schnell, wie heute. Ich habe sie alle überholt, die da auf dem Weg waren. Wieso? Mein Alter, meine 72 Jahre scheint mich nicht zu begrenzen.

Die beiden britischen Ladies aus der Herberge traf ich wieder. An einem wunderschönen baum-bestandenen Rastplatz in einem kleinen Weiler machte ich Pause. Die Ladies versorgten mich mit frischen Kirschen. Herzlichen Dank!

Zwei offensichtlich französisch sprechende Frauen vor mir und vorbei! Sie hatten unendlichen Gesprächsstoff, wie das nur Frauen können. Es war ein öder Weg zwischen ausgetrockneten Maisfeldern entlang. Die Sonne brannte inzwischen herunter. Dies ist der Jakobsweg? Ich hatte meinen Führer nicht ordentlich gelesen.

Hinter mir entstand ein großes Gerufe und Hallo. Wer ruft wen in dieser Einöde? Endlich merkte ich, daß ich gemeint sein könnte, da niemand weit und breit unterwegs war. Ich drehte mich um und hinter mir winkten mir die zwei Französinnen zu und riefen mit aller Kraft!

Ich hatte einen Abzweig des Weges verpaßt. Sie waren mir sogar auf dem falschen Pfad nachgekommen, um mich zu warnen. Bin ich nun achtsam gewesen oder nicht. Und wenn ja, wann dann? Hilft mir mein Satz, das Leben heute zu begreifen, so wie es jetzt ist?

Ich kramte alle meine französischen Vokabeln zusammen und bedankte mich bei den beiden. Ich sagte etwas von Schutzengeln, die nicht so schnell laufen können wie ich heute. Das hat sie wohl sehr amüsiert. Sie lachten.

Ein paar Kilometer weiter holte ich eine Schwedin ein. Es stellte sich heraus, daß sie deutsch sprach und das war doch einfacher für uns beide als französisch. Wir gingen eine Weile in ihrem Rhythmus und plauderten dabei aus unseren Erfahrungen des Lebens.

Ich habe noch nie mit so vielen Pilgern an einem Tage gesprochen wie heute. Dabei dachte ich, es sollte ein schweigsamer Tag für mich werden und ich sollte mich mal von innen besehen. Ein Däne, ein Franzose, meine Güte, wieviel Leute kommen heute über meinen Weg? War ich die ganzen Jahre blind und taub und habe niemanden gehört und gesehen? Nein, so war es nun auch nicht. Aber heute ist es doch ganz erstaunlich.

Mit dem Franzosen bin ich die letzte Strecke Weges gemeinsam gegangen. Er trug eine seltsame Kappe mit heruntergeklapptem Nacken- und Ohrenschutz. Er war blond und aus dem Norden. Am Zielort lud er mich in ein Café ein und erkundigte sich für mich nach dem Weg zu meinem Hotel. Das war sehr hilfreich, denn die Französinnen hinter der Theke haben es sehr wortreich und mit vielem Gestikulieren erklärt. Das hätte ich nie verstanden.

Ich trat aus meinem gedachten Tor und die Welt hatte mich wieder.

Palaver an den Cafétischen, Autoverkehr, Motorräder, Leute auf der Straße.
Wo bin ich denn unterwegs gewesen? War das nicht diese Welt? Welche Vorstellung von meinem Walk habe ich gehabt und was ist davon eingetreten? Es ist ganz anders gekommen. Auch in der einsamen Welt zwischen den Stationen war ich im Leben mitten drin. Nicht abgeschottet und als einsamer Pilger unterwegs. Die Menschen haben mich gefunden oder habe ich sie gesehen? Es hat mich sehr berührt, daß sie alle etwas von mir wollten oder mir etwas geben wollten.

Ich bin ein wichtiges Glied in der Kette.

Die Sonne geht auf, es wird hell. Ich stelle mich in’s Licht. Ich werde mal Kaffee kochen und den Frühstückstisch decken.

Ich bin glücklich, daß ich dies jetzt aufgeschrieben habe. Es war die richtige Zeit dafür.


© Klemens Konermann | pilgern@klemens-konermann.com | www.klemens-konermann.com